Die Kraft der Musik

18. Mai 2022 | Artikel

Percussion-Foto von Evelyn Glennie

Musik ist ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens. Viele von uns begleitet sie jeden Tag: auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule, in der Freizeit oder auch beim Einschlafen. Wir hören unsere Lieblingslieder an, singen laut mit und vielleicht spielen du oder deine Eltern sogar ein Instrument. Musik kann für gute Laune sorgen oder uns trösten, wenn wir traurig sind. Kurzum: Musik hat große Kraft.

 

Musik fühlen

Unterschiedliche Lieder können unterschiedliche Gefühle hervorrufen. Manche Lieder machen uns fröhlich, andere klingen traurig. Um die Botschaft eines Liedes zu verstehen, müssen wir meist nicht einmal den Text verstehen. Durch die Töne und die Melodie wissen wir zum Beispiel auch bei einem spanischen oder französischen Lied, ob der Interpret über ein gutes oder ein trauriges Thema singt. Darum kann Musik als universelle Sprache bezeichnet werden: Wir verstehen sie allein durch Gefühle, die jeder Mensch empfindet.

Wenn du ein Lied hörst oder selbst musizierst, beeinflusst das viele Vorgänge in deinem Körper. Musik kann beispielweise Erinnerungen wachrufen und für Entspannung oder Anspannung sorgen. Sie kann dein Herz schneller oder langsamer schlagen lassen und sogar Schmerzen lindern. Diese Eigenschaft macht sich die Medizin heute immer mehr zunutze. 

Musikalische Schmerzlinderung

Unser Gehirn besteht aus verschiedenen Bereichen. Ein Teil davon ist das limbische System. Dieses ist unter anderem dafür verantwortlich, Emotionen zu steuern. Hörst du Musik, kann das limbische System die Emotionen aktivieren und Gefühle in dir auslösen. Besonders groß ist dieser Effekt bei ruhigen und fröhlichen Tönen. Vor allem klassische Musik kann dazu beitragen, dass wir uns entspannen und weniger Schmerzen empfinden. 

Dieser Effekt wird beispielsweise von manchen Zahnärzten eingesetzt. Sie spielen während der Behandlung sanfte Musik ab, damit ein Patient weniger Angst hat. Gleichzeitig werden die Geräusche der Geräte ein wenig Geräte überdeckt.

Doch es gibt noch viele weitere Einsatzmöglichkeiten. So kommt Musik beispielsweise bei der Therapie von depressiven Menschen zur Anwendung. Eine Depression zu haben bedeutet, sich ständig traurig zu fühlen und lustlos zu sein. Durch Emotionen, die das Hören von Musik hervorruft, sollen die Patienten wieder lernen, positive Gefühle zu empfinden. Das Spielen von Instrumenten kann diesen Effekt weiter unterstützen.

Menschen, die unter Autismus leiden, fällt es schwer, ihre Gefühle auszudrücken. Auch diesen kann Musik helfen. Denn um sich musikalisch auszudrücken, benötigen die Betroffenen keine Wörter. Von diesem Vorteil können natürlich alle Personen profitieren, die durch eine Krankheit ihre Sprachfähigkeit verloren haben. Musik hat also eine große Kraft, die vielen Menschen zu einem glücklicheren Leben verhelfen kann.

Foto von einem Jungen mit Trommel und Stiften

 

Musik mit dem Körper „hören“

Nichts mehr zu hören, können sich viele Menschen nur schwer vorstellen. Dennoch ist diese Situation für etwa 80.000 Menschen in Deutschland Realität. Manche sind bereits von Geburt an taub. Viele erleiden den Gehörverlust jedoch infolge einer Krankheit. Taub zu sein, bedeutet jedoch nicht, auf Musik verzichten zu müssen.

Jeder Mensch hat fünf Sinne. Dazu gehören das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten. Fällt einer dieser Sinne aus, verschärfen sich in der Regel dafür andere. So ist der Seh- und Tastsinn bei tauben Personen oft stärker ausgeprägt. Das ermöglich es ihnen, Musik mit dem ganzen Körper wahrnehmen.  

Vielleicht hast du auch schon einmal laute Musik gefühlt. Besonders häufig erlebt man das bei lauten Bässen oder beim Spielen von Schlaginstrumenten. Die Schwingungen übertragen sich schnell auf den eigenen Körper. Diese Vibrationen nutzen Gehörlose, um Töne zu visualisieren und im Rhythmus zu tanzen. Sie fühlen die Musik also, anstatt sie mit ihren Ohren zu hören. Je lauter die Musik ist, desto besser gelingt das. 

Erfolgreich trotz Taubheit

Dass man sich von einem Schicksalsschlag nicht unterkriegen lassen muss, beweisen die Sänger, Musiker und Tänzer, die trotz ihrer Taubheit erfolgreich sind. So gilt zum Beispiel Evelyn Glennie aus Großbritannien als eine der besten Schlagzeugerinnen der Welt – obwohl sie ihr Gehör mit 12 Jahren fast vollkommen verloren hat. Heute ist sie 65 Jahre und nimmt nur noch sehr tiefe und sehr hohe Töne wahr. Sie hat jedoch eine große Sensitivität für Schwingungen entwickelt. Um diese noch besser wahrzunehmen, zieht sie beim Spielen der Instrumente oft ihre Schuhe aus. (Ihr Foto ist oben im Beitrag zu sehen, sie wurde fotografiert von Philipp Rathmer und Brigitte Lambeg)

Ein weiteres Beispiel ist die Balletttänzerin Sarah Neef. Seit ihrer Geburt kann sie nichts hören. Töne nimmt sie trotzdem wahr, zum Beispiel über ihre Fußsohlen, ihre Lippen und die Hände. Wenn man Sarah tanzen sieht, würde man niemals erahnen, dass sie gehörlos ist. Es sieht selbstverständlich aus, wie sie sich über den Boden bewegt und eine perfekte Choreografie tanzt. Doch damit nicht genug: Sarah spielt außerdem Klavier und beherrscht fünf Sprachen. Sie beherrscht es perfekt, Wörter von den Lippen anderer Menschen abzulesen. 

Diese Beispiele zeigen, dass es mit der nötigen Portion Sensibilität möglich ist, Musik auf eine ganz eigene Weise wahrzunehmen. Wenn dir das nächste Mal laute Musik begegnet – zum Beispiel aus einem Auto heraus oder bei einem Spielmannszug – dann fühle doch mal in dich hinein, welche Schwingungen du mit deinem Körper wahrnehmen kannst.

 

Text von Dr. Nadine Halle, Foto Evelyn Glennie von Philipp Rathmer und Brigitte Lamberg

 

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