Einfach mal…

21. Nov 2022 | Artikel

Foto von Mutter und Sohn die es sich mit einer Wolldecke um die Schultern gemütlich gemacht haben.

Meine Oma sagte immer zu mir: „Du musst mit den Hühnern aufstehen und mit den Hühnern ins Bett gehen.“ Viele Jahre hatte ich keine Ahnung, was sie damit meinte, und malte mir immer aus, wie es wohl sei mit einem Huhn im Bett zu schlafen. Seit ich selbst Hühner habe und lerne, im Rhythmus der Tiere zu leben, verstehe ich, was sie meinte: Hühner richten ihren Tagesrhythmus nach dem Tageslicht aus. Werden die Tage kürzer, reduzieren sich ihre Aktivitäten und sie kommen früher zur Ruhe. Im Zeitalter der Elektrizität haben wir verlernt, uns an die Wintermonate anzupassen. Wir erleuchten einfach alles taghell und machen weiter wie in all den Monaten zuvor. Das soll jetzt kein Plädoyer werden, das Licht früher auszuschalten. Was aber mit den kürzeren Tagen auch einhergeht, ist, dass wir nach dem trubeligen Sommer auch mehr zur Ruhe kommen.

… zur Ruhe kommen

Das kann für einige bedeuten, sich abends gemütlich auf die Couch zu kuscheln und einen Film zu schauen. Dabei vielleicht noch etwas im Internet hin und her surfen. Vielleicht auch früher ins Bett gehen.

Zur Ruhe kommen kann aber auch bedeuten, keine Bildschirm-Portale in andere Welten zu betreten. Denn weniger als 2% aller Informationen, durch die wir surfen und die auf uns niederprasseln, sind für uns tatsächlich relevant. Wir müssen also ständig filtern und diese relevanten 2% herausfinden. Das ist ermüdend für unseren Geist, und am Ende auch meist unbefriedigend.

Wie wäre es, wenn wir „zur Ruhe kommen“ also nicht nur mit „Füße hoch“ gleichsetzen, sondern ins Hier und Jetzt kommen. Nicht den Ausgleich in einer Berieselung von außen zu suchen, sondern sie in uns und in unserer Gemeinschaft zu suchen, in der Familie und bei Freunden.

 

Einfach mal…

…spielen!

Seit ein paar Jahren erfahren zum Beispiel Brettspiele eine neue Renaissance. Auch hier kann man in andere Welten abtauchen, aber man erlebt die Abenteuer gemeinsam und kann sie auch nur zusammen bestehen. Viele neue Formate machen das möglich: Probiert doch mal ein Rätsel-Spiel aus (in der Fachsprache Legacy-Spiele genannt), bei dem man einen Fall lösen muss. Oder ein lustiges Geschicklichkeitsspiel. 


…vorlesen!

Vorlesen? Wie zum Einschlafen? Nee, alle zusammen! Jeder, der lesen kann, macht mit. Das Buch wird einfach reihum weitergereicht. Und zwischendrin darf auch jeder mal raten, wie es denn vielleicht weitergeht. Dabei kann man auch wunderbar kuscheln und vielleicht macht ihr es euch so richtig doll gemütlich mit ein paar Kerzen und leckeren Knabbereien. Und auf geht es in das nächste Abenteuer!


…tanzen!

Mama und Opa sind zu uncool für die neusten TicToc-Moves? Ha! Das solltet ihr erstmal ausprobieren! Warum nicht mal zusammen einem Shuffle oder einen angesagten Line-Dance lernen? (Einfach „Shuffle Dance“ googeln, da findet ihr die Erklärung). Aber Vorsicht: Lachkrampf garantiert!


…malen!

Wann habt ihr das letzte Mal einfach Musik oder ein Hörbuch gehört und dabei gemalt? Entweder frei oder ein Mandala ausgemalt? Neinnein, wir meinen schon euch Erwachsene jetzt. Ja, das kann wunderbar entspannend sein. Und ihr werdet staunen, was eure Kinder alles erklären können, zum Beispiel warum die Sonne jetzt mehr Pink braucht und die Wiese auch mal Blau sein darf. Taucht ein in die Welt der Farben und Fantasie.
 

…schauspielern!

Habt ihr als Familie mal einen Sketch aufgeführt? Entweder einfach für euch oder auch als Video-Projekt, um ihn bei der nächsten Familienfeier wieder anzuschauen. (Und meist einen Heidenspaß dabeihabt, weil man sich an den vielleicht etwas chaotischen Dreh erinnert.) Die Rollen werden verteilt und dann darf auch gerne etwas improvisiert werden. Die Fotos und Videos aus diesem
gemeinsamen Projekt sind wunderbare Erinnerungsstücke. Die Bretter, die die Welt bedeuten, gehören euch: Bühne frei!
 

…dotteln!

Dotteln, was? Dot Painting bedeutet, mit Punkten aus Acryl Bilder und Mandalas zu kreieren. Je nachdem, wie stark man den Punkt aufträgt, wird er größer oder kleiner. Als Untergrund kann man alles nehmen, was einem gefällt, zum Beispiel Steine von draußen, Tonfiguren, Tassen etc. Dotteln macht Groß und Klein Spaß und ist unglaublich entspannend, weil man sich nur darauf konzentriert, den nächsten Punkt an die richtige Stelle zu setzen. Man vergisst die Zeit und ist immer sehr stolz auf sein geschaffenes Werk. 

…erfinden!

Auch wenn es ziemlich genial wäre, ist nicht das Erfinden des Beamens oder anderen futuristischen Wunderwerken gemeint. Oder vielleicht ein bisschen doch. Aber ohne Grenzen. Einfach mal Geschichten erfinden! Ihr könnt mit Story-Würfeln beginnen, auf denen Symbole abgebildet. Oder jeder schreibt mehrere Begriffe, die ihm spontan in den Kopf kommen, auf kleine Zettel. Diese werden in eine Schale geschmissen und gut gemischt. Der erste Spieler zieht einen Zettel und muss in den Beginn der Geschichte diesen Begriff einbauen. Dann ist der Nächste dran und muss die Geschichte weitererzählen. Wieder muss der Begriff von dem nächsten gezogenen Zettel eingebaut werden. Ob ihr nur einen Satz oder mehrere Sätze erzählt, ist völlig euch überlassen. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt … und wer weiß, was ihr vielleicht völlig Verrücktes in eurer Geschichte erfindet!
 

…erzählen!

Schon wieder? Das hatten wir doch gerade. Nein. Damit meinen wir, einfach mal von euch zu erzählen. Habt ihr das mal gemacht? Ohne pädagogischen Zeigefinger? Überlegt doch mal selbst, was wir, als Erwachsene, wirklich über unsere Eltern wissen. Ist doch irgendwie schade, dass es meist nicht so viel ist. Warum es sich also nicht mal zusammen gemütlich machen und Erlebnisse von erzählen: Lustiges, Trauriges, Abenteuerliches, Romantisches und vielleicht mal ganz Verrücktes.
 

…Zeit nehmen.

Aber das Wesentliche, auf das all diese „Einfach mal“- Tipps einzahlen, ist es, gemeinsam Zeit zu verbringen. Und zwar bewusst miteinander, nicht nur nebeneinander. Nur weil man im selben Raum ist und der eine am Handy spielt, während der andere Fernsehen schaut, verbringt man keine Zeit MITeinander. Sie vergeht nur gleichzeitig. Bei Qualitätszeit geht es darum, in Kontakt und Interaktion miteinander zu treten, in welcher Form auch immer. 
 
„Aber beim Malen oder Dot Painting haben wir doch auch keine Interaktion“, könnt ihr jetzt zu Recht sagen. Außer, dass man vielleicht um eine bestimmte Farbe bittet oder die Pinsel und Stäbchen sich im Wasserglas treffen. Das stimmt, diese Zeit zusammen ist nicht so intensiv, als wenn ihr in direkter Wechselwirkung bei eurer Aktivität seid. (Es sei denn, ihr unterhaltet euch dabei.) Aber trotzdem ist diese Zeit intensiver und schafft gemeinsame Erinnerungen, weil kein Informationsimpuls von außen eure Aufmerksamkeit ablenkt. 

 

Die Zeit gehört zu unseren kostbarsten Gütern. Man kann sie nicht kaufen, man kann sie nicht zurückholen, nicht reparieren und nicht anhalten. Aber man kann sie sich gegenseitig schenken. Und nur, wenn man diese Zeit gemeinsam verbringt und zusammen lacht und rätselt und redet und kuschelt, werden diese Momente zu Erinnerungen. Wie Zeit im Einweckglas macht man sie haltbar, für viele Jahre und weitere Momente.

 

Text von Yve Brüggemann

 

Foto von Yve Brüggemann mit Pferd
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