happy-go-lucky

22. Jan 2022 | Artikel

Illustration von kleinem Schweinchen mit einem Elternteil das aus einem Buch vorliest. Die beiden liegen auf dem Rücken auf dem Teppich.

 

Das Glück hat viele Farben

 

Wir haben alle ganz schön viel Glück gehabt. Wir stehen noch, nach eineinhalb Jahren Pandemie. Mit viel Glück haben wir niemanden verloren, der uns nahestand. Wir haben keine Naturkatastrophen erleben müssen, wir leben nicht in einem Kriegsgebiet, wir sind in einem Land daheim, in dem es vielfältige soziale Sicherungssysteme und keine extremistische Regierung gibt. Wir haben alle ganz schön viel Glück gehabt. Wir sind nicht vom Auto überfahren worden, uns fiel noch nie ein Stein auf den Kopf, wir waren noch nie Opfer einer Bandenentführung. Wir haben alle ganz schön viel Glück gehabt. Vielleicht haben wir schonmal in einer Lotterie einen Sachpreis gewonnen. Oder ein Zwei-Euro-Stück auf dem Boden gefunden. Oder bei der letzten UNO-Partie drei Farbwahlkarten hintereinander vom Stapel gezogen…

 

Was haben stabile politische Verhältnisse, fehlende Verbrechen in  unserer Umgebung und ein Kartenspiel denn bitte miteinander zu tun?

Nun, was sie vereint, ist die Vokabel „Glück“. Denn das Deutsche ist, was dieses komplexe Phänomen angeht, ziemlich ärmlich aufgestellt. Wir werfen ganz unterschiedliche Empfindungen mit einer Vokabel in einen Topf. Das Prickeln, beim Kniffeln zufällig eine große Straße zu würfeln, die Erleichterung, einen Kindergartenplatz genau in der Wunscheinrichtung ergattert zu haben und die Dankbarkeit, dass eine gute Freundin genau in dem Moment den Satz zu uns sagt, den wir gebraucht haben, um eine Entscheidung zu fällen – im Deutschen empfinden wir „Glück“. Davon ausgehend, dass die Worte, die wir benutzen, auch unsere Wahrnehmung von Welt und Wirklichkeit stark beeinflussen, ist das eigentlich ziemlich schade. Denn das Glück hat viele Namen.

Es ist natürlich schön, den letzten Herbstsonnentisch im Lieblingscafé zu ergattern, aber ist das Glück? Es ist ein schöner Zufall, natürlich, aber reicht das für einen Vergleich mit dem Gefühl im Bauch, das sich wie Elektrizität im Körper ausbreitet, wenn das eigene Kind zum ersten Mal auf dem Fahrrad an uns vorbeiflitzt oder eine teigverschmierte Schnute uns einen Kuss ins Gesicht drückt? Schade ist, dass uns diese beiden Konzepte für das Wort „Glück“ suggerieren, dass tiefe Glücksgefühle rein auf Wahrscheinlichkeit beruhen. Dass wir nur lange genug würfeln müssen, und dann kommt die Glückseligkeit in uns gefahren. Andersherum kann die deutsche Sprache uns hier glauben machen, dass wir überhaupt keinen Einfluss darauf haben, ob wir glücklich sind oder nicht. Wenn der Würfel jedes Mal auf der Eins zum Stehen kommt, dann kann man da eben nichts machen. Aber so simpel ist es eben nicht.

 

Das Englische kennt zwei unterschiedliche Begriffe für das, was wir „Glück“ nennen. 

Es gibt das Wort „luck“, das für das berüchtigte Zufallsglück steht. „Lucky“ ist, wer ein vierblättriges Kleeblatt findet oder die richtige Zahl im Lotto erraten hat. Emotionales Glück hingegen beschreibt die Vokabel „happiness“ – dieser Zustand, von oben bis unten angefüllt zu sein mit einem warmen Gefühl von Zufriedenheit, Dankbarkeit und dem Wunsch, für einen Moment die Zeit anhalten zu können.

 

Seit den 1990er Jahren befasst sich eine immer größer werdende Gruppe von Forschenden mit der „Positiven Psychologie“, der „Wissenschaft vom gelingenden Leben“. 

Der US-amerikanische Psychologe Martin Seligman machte das Konzept auf der ganzen Welt publik: Wer glücklich sein will, braucht einen Blick auf die eigenen Stärken und Potentiale! Statt sich im Hadern aufzuhalten, was alles nicht stimmt, welche Probleme es gibt und wo das Leben nicht perfekt läuft, kann eine positive Grundhaltung und der Fokus auf das Gute und Schöne der Schlüssel zu einem glücklichen Leben sein. Im Bereich der Sozialarbeit wird dies als „Ressourcenorientierung“ definiert: wenn wir den Blick auf das Positive im Leben richten, öffnen sich Handlungsspielräume. Im Englischen gibt es hierfür in der Umgangssprache einen eigenen Ausdruck: „happy-go-lucky“. Irgendetwas zwischen sorgenfrei, leichtlebig, unerschütterlich und konsequent optimistisch. So ein Gefühl, als ob wir wie Asterix als Kind in den Zaubertrank gefallen wären: Alles ist möglich! Und alles wird gut!

Das ist leichter gesagt als getan, natürlich. Das Glück ist oft ein scheues Reh und die Glückshormone überfluten uns nicht, während wir Wäscheberge abarbeiten, Online-Überweisungen tätigen und Brotboxen bestücken. Die positive Psychologie versucht auch nicht, in jedem Unglück gleich krampfhaft das Glück zu sehen. 

 

Glücklich sein, das heißt auch manchmal mit den Achseln zu zucken und die Grenzen der eigenen Möglichkeiten zu akzeptieren. 

Bestimmte äußere Umstände können wir nicht verändern, auch nicht mit den positivsten Gedanken der Welt.
Das hat uns die Corona-Pandemie schön vor Augen geführt: auch der trainierteste Glücks-Muskel war irgendwann ziemlich ermüdet. Die Entschleunigung, das Aussortieren des Lebens, das Schätzen der seltenen Kontaktmomente mit uns Nahestehenden…es ist okay, das nicht immer nur als großes Geschenk zu empfinden. Es ist okay, müde zu sein. Es ist okay, manchmal zu (ver-)zweifeln. Und was vielleicht am wichtigsten ist: das Glück ist nicht für jeden gleich.

 

„One size fits all“ Das stimmt weder in der Umkleidekabine noch beim Thema Glück. 

Da gibt es nichts Universelles, was alle gleichermaßen zufriedenstellen kann. Für mich ist das Glück zum Beispiel ein Teller Spaghetti mit Käsesauce. Wenn ich das meinem Schwager mit Gluten-Allergie erzähle, weiten sich bei meiner Vorstellung von Glück eher die Pupillen vor Abscheu. Er wiederum bekommt ganz glücksglitzernde Augen, wenn er von seinem BMW berichtet. Bei diesem Thema muss ich gegen das Gähnen vor Langeweile ankämpfen, Autos und Glücksgefühle leben in meiner Welt nicht im selben Land, nicht einmal auf demselben Kontinent. Mich erfreuen diese Erfahrungen trotzdem; vielleicht auch gerade deshalb von Herzen. Was dich glücklich macht, muss mich nicht glücklich machen. Aber es ist schön, wenn es überhaupt Dinge gibt, die das tun!

„Hans im Glück“ von den Gebrüdern Grimm ist und bleibt mein Lieblingsmärchen. 

Diesen Hans, den kann ich nur allzugut verstehen. Er mag naiv sein, und ein begnadeter Betriebswirtschaftler ist sicherlich nicht an ihm verloren gegangen. Aber er lässt sich leiten von dem, was ihn glücklich macht. Ganz offensichtlich war Hans einer der frühen Vertreter der positiven Psychologie. Ein echter „happy-go-lucky“!

Er hängt sein Herz nicht an Dinge, und er lässt sich immer wieder von neuen Ideen anzünden. 

Aus seinem Goldklumpen wird ein Pferd, mit dem Hans von weiten Reisen und großen Abenteuern träumt. Aus dem Pferd wird eine Kuh, die für frische Milch und einen warmen Stall stehen. Die Kuh wird zum Schwein – Hans läuft das Wasser im Mund zusammen, wenn er an geräucherten Schinken und Koteletts denkt. Das Schwein tauscht er schließlich gegen eine Gans. Ich kann ihm die Erleichterung anmerken, denn der Gänsehirte erzählt ihm, dass ein Schweinedieb in der Gegend gesucht würde und dass Hans durch den Tausch einer jahrelangen Haft entgehen kann. Als er die Gans gegen einen Schleif- und einen Wetzstein eintauscht, sieht er seine eigene Zukunft als frei herumreisender Handwerker schon in goldenen Farben vor sich. 

Schlussendlich fallen die Steine dann in einen tiefen Brunnen. Wie Hans das erlebt, sollen an dieser Stelle die Gebrüder Grimm höchstpersönlich berichten: „Hans, als er sie mit seinen Augen in die Tiefe hatte versinken sehen, sprang vor Freuden auf, kniete dann nieder und dankte Gott mit Tränen in den Augen, daß er ihm auch diese Gnade noch erwiesen und ihn auf eine so gute Art, und ohne daß er sich einen Vorwurf zu machen brauchte, von den schweren Steinen befreit hätte, die ihm allein noch hinderlich gewesen wären. ‚So glücklich wie ich,‘ rief er aus, ‚gibt es keinen Menschen unter der Sonne.‘ Mit leichtem Herzen und frei von aller Last sprang er nun fort, bis er daheim bei seiner Mutter war.“

Wer dieses leichte Herz in sich sucht, ist dem Glück auf jeden Fall schon einen großen Schritt nähergekommen. Vielleicht lest ihr demnächst einmal gemeinsam Märchen auf dem Sofa? Mit Keksen und Tee, mit Spaghetti und Käsesauce, oder einfach mit einer warmen Decke über euch? Das ist bestimmt genau das richtige Workout für eure Glücks-Muskulatur.

 

Text von Maria Beyer, Illustration von Pari Mahroum

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